Samstag, 19. Juli 2014

30 Jahre Paranoyer




Da gab es ein besseres Unterhaltungsprogramm als heute auf vielen TV-Sendern.

Ich werde heute 30 Jahre alt.

Bedeutet das irgendetwas? Werde ich ein anderer Mensch, wie es mir immer wieder suggeriert wird, nur weil ich rechnerisch heute um 11:28 Uhr seit drei Jahrzehnten auf der Erde bin? Ich bin verheiratet, also komme ich um den seltsamen Brauch des Rathaustreppe fegens herum, was ich persönlich sehr begrüße. Doch was soll diese Aktion und all die süffisanten Kommentare, dass man ja nun dreißig werde? Was soll an dieser Tatsache allein bemerkenswert sein? Der letzte Geburtstag, den ich herbeisehnte, war mein zwölfter, weil ich dann endlich Jurassic Park gucken durfte. Schon mein 18. Geburtstag, auch so ein „verheißungsvolles“ Datum, hat mich kalt gelassen. So wird es damals wie heute kein rauschendes Fest geben und ich werde es auch nicht vermissen. Ich stehe nicht gern im Mittelpunkt für Dinge, die selbstverständlich sind und altern gehört für mich dazu.
Dennoch, so ganz entziehen kann ich mich meines 30. Geburtstags dann auch nicht, sonst würde ich ja auch nicht diese Zeilen schreiben. Womöglich erklärt es sich so: mit 30 hat man sich die Legitimation erworben, zum ersten Mal ernstzunehmend zurückzuschauen. Noch nicht in einem wehmütigen Sinne, wohl aber in dem Bewusstsein, dass eine Retrospektive mit 30 mehr Sinn macht als mit 18 oder 20.

Ich würde also 1984 geboren. Soziologisch gehöre ich damit zu den sogenannten „Millenials“, weil wir um die Jahrtausendwende im Teenageralter waren. Nun gut. Generation Y gefällt mir da schon allein wegen der (englischen) Aussprache mehr. 1984 war zumindest für Guido Knopp kein aufregendes Jahr, denn in seiner TV-Reihe 100 Jahre – Der Countdown von 1999 wird es einfach ausgespart (dafür ist 1986 dank der Challenger-Katastrophe und Tschernobyl gleich zweimal vertreten). Ein kurzer Blick in den Wikipedia-Artikel zeigt natürlich, dass die Welt auch 1984 bewegt wurde, aber darum geht es nicht. Es geht auch nicht darum, dass das Privatfernsehen 1984 in Deutschland gestartet wurde oder dass ich mein Geburtsjahr mit Marc Zuckerberg. Scarlett Johannson oder Helene Fischer teile (letzteres ist mir besonders peinlich). Oder darum, dass in Los Angeles die olympischen Sommerspiele stattfanden und mein Vater sich völlig unerklärlicherweise besonders gut mit den Ergebnissen aus diesem Jahr auskennt (dank der Zeitverschiebung lief Olympia in Deutschland zu sonst nachtschlafenden Zeiten)… Nein, es geht vielmehr um ein paar Gedanken anlässlich des Tages, um ganz persönliche Einordnungen. Möge es lesen, wer etwas auf die Meinung eines 30jährigen gibt.

Nochmal Soziologie: Ich bin augenscheinlich auch ein „Digital Native“, weil ich schon von frühster Kindheit mit Computern vertraut bin und den Siegeszug von E-Mail, Instant Messengern und den Mobiltelefonen miterlebt habe. Das ist ja schön und gut, aber ich fühle mich nicht wirklich als „Digital Native“, zumindest nicht in dem (eher negativ konnotierten) Sinn, wie der Begriff oft verwendet wird. Klar, ich hab schon als 6jähriger am PC gespielt und später mit Freunden Super Mario Cart-Turniere veranstaltet, kann mich in den meisten Benutzeroberflächen schnell zurechtfinden und muss beim Klicken durchs Internet nicht lange überlegen, wie ich an eine gewünschte Information komme, aber ich besitze erst seit kurzer Zeit von Smartphone, stelle nicht jeden Gedanken auf Twitter (das, was ihr da seht ist durchaus überlegt) und mein Facebookprofil quillt auch nicht über von Urlaubsbildern oder Selfies (am besten noch mit „duckface“…*ächz*). Ich finde es unhöflich, mit jemanden zu reden und dabei noch die Stöpsel des MP3-Players in den Ohren zu haben oder ständig auf das Handy zu starren. Ich bin auch noch nirgends dagegen gelaufen, weil ich auf ein Display anstatt in meine Umwelt geschaut habe. Und die momentane Offlinephase verursacht mir auch keine Magenkrämpfe.

Dies ist ein Medienblog, zumindest im weitesten Sinne. Was man wohl sagen kann, ist, dass die Generation Y sehr viel mehr multimedial vermittelte Inhalte zu ihren Erinnerungen zählt als die Generationen zuvor. Über die Disney-Serien der frühen Neunziger besteht Konsens – jeder kann die Theme Songs mitsingen. Mir geht es da nicht anders. Dennoch war es „damals“ eine doch bemerkenswert andere Welt. Ich habe noch Hörspiele und Musik von LPs gehört und hatte verhältnismäßig lange einen Plattenspieler im Zimmer. Heute noch steht ein Videorekorder in unserer Wohnung und TV-Aufzeichnungen aus DM-Zeiten warten darauf, doch noch endlich gesichtet zu werden. Überhaupt Deutsche Mark – 3,50 DM hat eine Ausgabe des Dinosaurier!-Magazins gekostet. Ganz schön viel, wenn man für 2,60 DM (später auch stolze 3 DM) oder so auch noch das Micky Maus Magazin Woche für Woche haben wollte. Mein Taschengeld wurde dann später einfach von 30 DM/Monat in 30 €/Monat umgewandelt, die Währungsumstellung hat mir also nur Glück gebracht.


Eine Auswahl von Literatur meiner Kindheit und Jugend.

Ich habe noch Musikkassetten bespielt, also Mixtapes erstellt, oder einfach den Ton meiner Lieblingsfilme mit einem klobigen Recorder direkt vom Röhren-TV aufgenommen, um dann eine Art unkommentiertes Hörspiel zu haben. Der Beginn einer TV-Sendung, wie sie in der Programmzeitschrift angekündigt war, war Gesetz und das deutsche Fernsehen hatte meiner Erfahrung nach noch mehr Mut zum Plündern der Filmarchive – ich habe beispielsweise sehr viele durchaus sehenswerte B-Science-fiction-Filme dank der Filmwochenenden von Kabel 1 oder dem NDR gesehen. Heute habe ich das Gefühl, dass Fernsehen will den Zuschauer nicht mehr überraschen. Aber ich bin ja auch in meiner Generation ein Alien, weil ich schwarz/weiß-Filme anschaue, kein Problem mit Stummfilmen habe und ich vielen Neuerungen, gerade im Bereich des Kinos, kritisch gegenüberstehe. Ich bin immer noch unschlüssig, ob die Computeranimation wirklich eine so über alle Einwände erhabene Technik ist. Bei 3D bin ich mir sicher, dass es kaum einen Mehrwert bringt.

Ich mag das stur nach vorne preschen nicht. Von meiner Anlage her schaue ich auch gern zurück und es ist mir bewusst, dass ich ein gewisses Problem mit Veränderungen habe. Darum kann ich nicht nachvollziehen, wie manche meiner Altersgenossen das Neue beständig umarmen und das Alte im Gegenzug immer mehr verdrängen. Ich mag Orte, an denen es kein WiFi gibt, ich mag Bücher und den Geruch von Papier, auch altem (die oben abgebildeten Groschenromane riechen besonders nach Kindheit), ich schaue im Zug auch einfach mal eine Stunde aus dem Fenster, ohne etwas im Ohr oder in der Hand zu haben. Ich schätze selbstredend all die Möglichkeiten, die man nun hat und die 1984 noch nicht abzusehen waren, mein Job wäre ohne sie gar nicht denkbar. Aber ich denke, Technik wird für mich beispielsweise immer mehr mit dem Raumschiff aus Alien verknüpft sein als mit der gelackten Apple-Welt. Ich mag meine klobige Stereoanlage und ich werde meine Bibliothek nicht einem E-Book-Reader vorziehen, ebenso wenig einer Cloud mehr vertrauen als meinen CDs und DVDs.


...und eine Auswahl meiner frühen "Fachliteratur". :-)

 Heute werde ich 30. Bald werde ich einen neuen Job antreten, den ersten in diesem Ausmaß in meinem Leben. Damit bin ich wohl auch als 1984er spät dran, aber was soll’s? Dies ist nur eine der Neuerungen, die mich auf dem vor mir liegenden Weg erwarten und mit Sicherheit all die Märchen von der „3-0 als Ende des Lebens“ Lügen strafen werden. 30 zu werden ist sicherlich ein Datum zum innehalten, aber kaum eins zum verzweifeln oder resignieren. Ich bin froh, eine noch halbwegs analoge Welt miterlebt zu haben und bin gespannt, wohin der Weg mich in dieser gänzlich digitalen Gesellschaft noch führt. Denn auch wenn viele Erlebniswelten digitalisieren, der Mensch bleibt Mensch. Und mit 30 bin ich einer, mit dem ich trotz diverser Auf und Abs durchaus leben kann.

3 Kommentare:

  1. Die große 30 nun also. Gratuliere! Du hast dich bestimmt entsprechend feiern lassen :)

    Ich hatte damals übrigens noch die deutsche Erstauflage von "Jurassic Park" ohne das Logo, nur mit "Dino Park" betitelt (grüner Dino auf weißem Cover). Hach, was habe ich das Buch geliebt (war vor Kinostart übrigens gerade 12 geworden)!

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  2. Nachträglich alles Gute zum 30sten erstmal ...

    ... Ich kann das alles was du schreibst sehr gut nachvollziehen, auch wenn ich noch ganze 4 Jahre älter bin. ;) Mit der Aussage: "Ich stehe nicht gern im Mittelpunkt für Dinge, die selbstverständlich sind ..." sprichst du mir aus der Seele. Das denke ich mir auch schon mein ganzes Leben lang, schön dass es nicht nur mir so geht.

    Ich bin auch immer wieder froh in der noch analogen Welt aufgewachsen zu sein mit Schallplatten, Kassetten, Videorekordern und nicht tragbaren Telefonen (nach denen ich mich von allen guten alten Dingen am meisten sehne). Mir fehlt die Zeit manchmal, denn das Jetzt ist mit seinen unendlich vielen (technischen) Möglichkeiten einfach nur sehr anstrengend.

    Vielen Dank für den Text, es hat sehr gut getan mal wieder nostalgisch in Erinnerungen zu schwelgen. :)

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  3. Ich gratuliere noch nachträglich und nur so viel: Die 30er sind spannend. Glaubs mir, bin grad mittendrin. :)

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