Donnerstag, 2. Mai 2013

Vergessene Medienperlen: Alien Nation



Alien Nation könnte man auch „Das Konzept, dass nicht sterben wollte“ nennen. Angefangen hat alles 1988 mit einem Kinofilm, der in Deutschland unter dem zeitlosen Titel Spacecop L.A. 1991 veröffentlicht wurde.
Die Prämisse ist großartig: ein Raumschiff mit 250.000 Außerirdischen strandet auf der Erde und ist danach funktionsuntüchtig. Die Aliens sind keine unförmigen Schleimwesen, sondern äußerlich recht menschenähnlich und werden in die irdische (sprich: US-amerikanische) Gesellschaft eingegliedert. Doch das Zusammenleben zwischen Menschen und den Tenctonen, den sogenannten Newcomern, gestaltet sich oftmals als nicht wirklich frei von Vorurteilen.



So weit, so gut. Dumm nur, dass der Film lieber auf der hard boiled Actionwelle der 1980er Jahre mitsurfen wollte und aus der Ausgangssituation sehr wenig machte. Als Beweisstück A lege ich mal den originalen Trailer vor. RoboCop und Co. lassen grüßen.



So fiel der Film dann auch bei der Kritik durch. Momentan hält er 56% auf Rottentomatoes und die Zusammenfassung bringt es ganz gut auf den Punkt:
„Alien Nation takes the interesting premise of extraterrestrials living among us and doesn't do enough with it, emphasizing a police procedural plotline over the more intriguing sci-fi elements.“[1]

Nun könnte das Kapitel Alien Nation ganz schnell wieder geschlossen werden, wenn nicht irgendjemand das Potenzial der zugrundeliegenden Idee erkannt hätte. Kenneth Johnson, der bereits den unglaublichen Hulk und V – Die außerirdischen Besucher kommen auf die Fernsehbildschirme gebracht hatte, wurde angefragt und so entwickelte er Alien Nation – Die Serie, die 1989 in den USA auf Sendung ging.
Da das Geld beim Fernsehen nicht so üppig vorhanden ist wie bei prestigeträchtigen Kinofilmen waren aufwendige Actionplots von vornherein passé (der einzige Versuch in diese Richtung, Folge 5, The Takeover, ist dann auch einer der Tiefpunkte der Serie) und man konnte sich eher auf den sozialen Aspekt konzentrieren und natürlich auf die wachsende Freundschaft zwischen dem menschlichen Polizisten Matthew Sikes und seinem Newcomer-Partner George Francisco. Und siehe da, das Unterfangen wurde ein Erfolg. Alien Nation macht beinahe sofort süchtig nach mehr, was neben den hervorragenden Darstellern vor allem den großartigen Drehbüchern geschuldet ist. Beispielsweise gibt es gleich im Pilotfilm eine Szene, die das immer wieder zu lösende Dilemma gut illustriert. Dazu sollte man noch wissen, dass die Tenctonen als Sklaven gezüchtet wurden und auf der Erde erstmals Bürgerrechte bekommen. Und Menschen wären nicht Menschen, wenn sich nicht auch eine rechte Opposition, hier „Puristen“ geannt, formieren würde.


Wer nun meint, Alien Nation würde ein einseitiges Bild vom guten Alien und bösem Menschen zeichnen, sieht sich getäuscht. Nicht nur sehen wir menschliche „Puristen“ jeglicher Ethnie in der Serie, auch auf der tenctonischen Seite gibt es Ablehnung, Hass und Bigotterie. Alien Nation erlaubt sich, differenziert zu sein und wahrscheinlich ist es gerade dieses Element, das die Serie so interessant macht. Neben den unterhaltsamen Kriminalfällen lernen wir fast jedes Mal nicht nur etwas über die außerirdische Gesellschaft, sondern auch über den Status unserer eigenen. 

So schenkte FOX der Welt 22 meistens großartige Folgen einer wahrlich ungewöhnlichen Serie, die mit den Bildern einer Alien-Geburt ein kleines bisschen Fernsehgeschichte geschrieben hat – schon allein durch die Tatsache, dass ein männlich kodifizierter Newcomer, unser Protagonist George, das Baby zur Welt bringt. Ein Fest für jeden Gender Studies-Interessierten.


Schließlich leistete man sich etwas, dass in jenen Fernsehtagen nicht Gang und Gebe war: einen Cliffhanger. Die letzte Episode der ersten Staffel machte unglaublich viele Fässer auf, am Ende stand das Überleben der gesamten Spezies der Newcomer auf dem Spiel.



Und dann kam die Absetzung.

Trotz guter Quoten konnte und wollte FOX die Serie aus finanziellen Gründen nicht weiterführen und trug so eins der besten SF-TV-Konzepte aller Zeiten zu Grabe. Doch man hatte nicht mit den Fans gerechnet, die ihre Serie verständlicherweise liebten und zumindest um eine Auflösung des Cliffhangers baten. Dies geschah in Form von Romanen und Comics, bis man vier Jahre nach der letzten Episode und einem Managementwechsel bei FOX Sikes und Francisco samt Familie wieder auf dem Bildschirm bewundern konnte: der TV-Film Dark Horizon wurde ausgestrahlt. Die wichtigsten (nicht alle) losen Enden aus der Serie wurden zu Ende gebracht und die gesamte Besetzung war wieder in ihren angestammten Rollen zu sehen. Irritierend war nur, dass Lauren Woodland, die Georges Tochter Emily spielt, in der Zeit zwischen 1990 und 1994 natürlich erheblich gewachsen war…

Sieht man den ersten TV-Film zeitnah nach dem Genuss der Serie halten sich Enttäuschung und Freude die Waage. Letzteres, weil man überhaupt wieder in die Welt der Tenctonen zurückkehren kann, Ersteres weil Dark Horizons im Vergleich zur Serie deutlich abfällt. Man spürt, dass der Plot, der hier in 90 Minuten durchgespielt wird, in Wirklichkeit für mindestens eine halbe Staffel Stoff geboten hätte. Dementsprechend schnell ist manches zu Ende, während anderes gar nicht erst wieder aufgenommen wird (Bucks Liebe zu einer Menschenfrau beispielsweise). Und wieder andere Elemente verschwinden einfach – Georges zweite Tochter Vessna wird zunehmend in den Hintergrund und schließlich ganz heraus geschrieben. 

Nach Dark Horizons folgten vier weitere TV-Filme recht unterschiedlicher Qualität: Body and Soul, Millenium, The Enemy Within und The Udara-Legacy. Es gab altbackende Horrorplots, sinnvolle Fortsetzungen von Serien-Prämissen und neue Charakteraspekte zu begutachten. Die großartige Terri Treas war während der Dreharbeiten vor allem zum letzten Film hochschwanger und wurde überdeutlich im Hintergrund gehalten und so konnte die Beziehung zwischen ihrer Figur und Sikes nicht zufriedenstellend zu Ende gebracht werden, über Vessna habe ich bereits geschrieben und Bucks soziale Entwicklung schien in den Filmen wieder rückwärts zu laufen. Trotzdem hat es etwas bittersüßes, The Udara-Legacy zu sehen, denn damit endete 1997 die Odyssee von Alien Nation endgültig. Man wird das Gefühl nicht los, dass dem Konzept als TV-Serie besser gedient gewesen wäre als durch die Filme, aber dies gehört zu den Dingen, über die man nur spekulieren kann.



Alien Nation wurde in Deutschland ab Januar 1991 auf SAT.1 um 23 Uhr im Programm versteckt und bis heute nur einmal im Free-TV 1996 auf KABEL EINS wiederholt.[2] Die TV-Filme gibt es in deutscher Synchro noch gebraucht auf VHS zu bekommen, The Udara Legacy sogar auf DVD; der Kinofilm wurde gerade sogar neu für den DVD-Markt aufgelegt. Für die Serie muss man auf die US-Veröffentlichung zurückgreifen, was in meinen Augen nicht schlimm ist, weil man so die miese Synchronisation umgeht. Auch die TV-Filme gibt es als schön anzusehende Gesamtbox (mir hat Ebay hier sehr weitergeholfen).  

Alien Nation ist also verfügbar, aber kaum gesehen, zumindest in Deutschland. Eine Schande, denn nochmals: diese Serie gehört zum Besten, was die TV-Science-fiction je hervorgebracht hat. Vielleicht bekommt der ein oder andere dank dieses Vergessene Medienperlen-Auftakts Lust, sie für sich (neu) zu entdecken. Wünschenswert wäre es, denn auch über zwanzig Jahre nach seiner „Geburt“ hat das Konzept nichts an Aktualität eingebüßt. Alien Nation sagt heute noch genauso viel Wahres über unsere Gesellschaft aus wie 1989. Ob dies traurig oder interessant ist, steht natürlich auf einem anderen Blatt.