Unterhaltungsliteratur, insbesondere die
US-amerikanische, ist meistens bereits auf die spätere Verfilmung hin
ausgelegt.
So begann meine
letzte Buchbesprechung zu Andy Weirs enttäuschenden Der Marisaner. Die über Josh Malermans Bird Box könnte genauso beginnen, wenn auch unter umgekehrten
Vorzeichen. Denn sollte Bird Box
jemals verfilmt werden, könnte die Geschichte die Realisatoren vor einige
Herausforderungen stellen, spielt ein nicht unerheblicher Teil doch in einer
selbstgewählten Blindheit der Figuren, die nur so überleben können. Doch der
Reihe nach.
Bird Box beginnt mit dem üblichen
Ausgangspunkt der nahenden Apokalypse: es häufen sich Medienberichte über
Menschen, die, nachdem sie etwas nicht Identifizierbares gesehen haben, in Wahnsinn
verfallen und erst die Menschen in ihrer Umgebung und dann sich selbst töten.
Von den einsamen Landstraßen Russlands aus breitet sich das Phänomen
unaufhaltsam über den Erdball aus, bis es auch die Kleinstadt der schwangeren
Protagonistin Malorie erreicht. Diese findet, nachdem die Lage immer
verzweifelter wird, Zuflucht in einer Zweck-WG aus den unterschiedlichsten
Charakteren, die ihr Leben in einem Haus mit verhängten Fenstern fristen und
nur mit verbundenen Augen die Außenwelt betreten. Denn, so viel scheint
gesichert, man muss etwas sehen, um
dem Wahnsinn anheim zu fallen. Dieses Etwas scheinen irgendwelche Wesen zu
sein, gesichert ist diese Theorie aber nicht. Die Gemeinschaft versucht, so gut
es geht zu überleben, doch interne Spannungen bauen ein immer größeres
Minenfeld auf …
Was nach
Endzeit-Standardware klingt, ist durchaus flott und zumindest annehmbar
überraschend erzählt. Non-linear wird vieles vorweggenommen, die Wege zu den
dann bereits bekannten Situationen aber involvierend an den/die LeserIn
gebracht. Zudem bemüht sich Malerman um eine nicht allzu gängige Sprache, Bird Box liest sich nicht so genügsam
wie ein x-beliebiger Genrethriller. Stakkatoartig geht es hier oft zu, atemlos,
die Beschreibungen evozieren eine Welt, über die sich ein monochromer Filter
gelegt hat. Selbst wenn von Sonnenschein und Wärme gesprochen wird, suggeriert
Malermans Sprache eine Welt, aus der sich die Farben weitestgehend
zurückgezogen haben, in der nur noch gräuliche, schmutzige Schattierungen
existieren.
Dies kommt dem
Spannungsaufbau zugute, zumal Malerman nicht in die Rolle des omnipräsenten Erzählers
abdriftet. Wenn sich Malorie hinauswagt, ist der Leser ebenso blind wie sie und
auf ihre Interpretationen der Welt angewiesen. Dies erzeugt eine große Nähe
beispielsweise bei den Prunkstücken der Horrorsequenzen, die in einer Bar und
auf einem Dachboden spielen, eben weil der Leser durch den Autor nicht in die
Funktion des Mehrwissenden gedrängt wird. Das Grauen ist nur so weit fassbar,
wie es für die Charaktere möglich ist. So ist es nur konsequent, dass über die
Natur der Bedrohung Vermutungen angestellt werden, sie aber nicht überprüft
werden können. Die Wesen, wenn es denn welche sind, können weder als Fakt noch
als Fiktion abgetan oder erklärt werden, es bleibt nur die nackte Angst über
die Existenz von Etwas. Malerman
offeriert gerade so viele Informationen, damit der Leser genug Futter für
Spekulationen und Konzepte bekommt, ohne die charakterlich greifbare Zone zu
verlassen. Es ist das im wahrsten Sinne und immer wieder potente Unsichtbare,
dass das Leben bedroht, das Monster unter dem Bett, das nie in Erscheinung
tritt und dennoch grausige Realität ist.
Bird Box erfindet das Horrorgenre nicht
neu, bietet aber genug Gestaltungswillen und vor allem Unterhaltungswert, um
sich von der Konkurrenz abzuheben. Die Charaktere sind zwar in ihrer Tiefe sehr
unterschiedlich ausgearbeitet, immerhin wird aber nicht auf die üblichen Sympathiepunkte
gesetzt. Malorie beispielsweise hat durchaus ihre negativen Züge, auch wenn diese
durch die Situation selbstredend verständlich sind. Das Ende ist etwas gehetzt
und lässt Spielraum für eine potenzielle Fortsetzung (die aber nicht zwingend
notwendig ist und Gefahr läuft, zu viele offene Fragen, die der Atmosphäre
willens nicht beantwortet werden müssen, zu klären), ansonsten ist Bird Box für den Genreinteressierten
Leser sicherlich ein empfehlenswertes Buch für zwischendurch. Denn bei nur
knapp über 300 Seiten und dem treibenden Stil Malermans ist diese
Horrorgeschichte fast ebenso schnell wieder vorbei, wie sie begonnen hat. Und
auch das passt gut zu der beschriebenen Apokalypse, die es im Wust ähnlicher
Erzählungen tatsächlich schafft, Unbehagen zu erzeugen.
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