Mittwoch, 28. Oktober 2015

Serienprotokoll (10)




BLOODLINE (Staffel 1)

Vom Duktus und auch ein bisschen von der Intention erinnert die Netflix-Serie Bloodline an Rectify, ohne deren Größe und Konzentration zu erreichen. Der Geschichte um eine Familie, deren ältester Sohn nach langer Zeit wieder nach Hause zurückkehrt und eine ganze Kaskade von Ereignissen in Gang setzt, die sich alle auf die schmerzvolle Familiengeschichte zurückführen lassen, hätten zum einen weniger Episoden gut getan. Straffung ist nicht gerade Bloodlines Sache, man kann zwischendurch auch mal zwanzig Minuten die Gedanken schweifen lassen und verpasst nichts, was für die Handlung oder die Charakterentwicklung nötig wäre (etwas, dass bei Rectify nicht möglich gewesen wäre). Es gibt natürlich großartige Charaktermomente, Handlungen der Figuren sind nicht immer vorhersehbar, der Vorspann für sich ist schon ein kleines Highlight, die Schauspieler sind teilweise von hypnotischer Größe, insbesondere Ben Mendelsohn. Dennoch verwechselt die Serie zu oft eine ruhige Inszenierung mit einer schleppenden, eben weil man die Charaktere nicht entwickelt. Am Ende kennt man mehr Geheimnisse, aber in ihrem Wesen sind die allermeisten Figuren zum Schluss der Staffel nicht sonderlich weiter als zu Beginn. Es drängt sich des Öfteren auf, ob es Bloodline nicht besser zu Gesicht gestanden hätte, als zehnteilige Miniserie zu existieren, anstatt nun auch noch eine zweite Staffel nachzuschieben. Denn dies hätte den „Zwang“ zu einer durchdachteren Inszenierung mit sich gebracht und Bloodline wahrscheinlich konzentrierter daherkommen lassen. Es gibt Spielfilme, die in unter zwei Stunden mehr über Schuld, Sühne und dunkle Familiengeheimnisse erzählen als diese Serie mit über 13 Stunden Laufzeit.

2.5/4


FEAR THE WALKING DEAD (Staffel 1)

Ach, du meine Güte. Was soll man dazu bloß sagen? Im Selbstverständnis (und nach den Medienbuzz wahrscheinlich gar nicht so unberechtigt) eine der wichtigsten und meisterwartesten Serien des Jahres ist Fear the Walking Dead eine einzige Schau der verpassten Möglichkeiten, eine Beleidigung des Franchises, dass mit einer durchdachten Comicserie begann und in Form seiner TV-Adaption inzwischen eine Quelle ewigen Kopfschüttelns ist. Fear the Walking Dead will die Vorgeschichte jener vollendeten Apokalypse zeigen, der die Figuren in der Mutterserie gegenüberstehen und schafft es, einen Zombie-Outbreak langweilig zu machen. Dabei ist es gar nicht der vergleichsweise niedrige Actiongehalt, der sauer aufstößt (dass dies kein Nachteil ist, hat unlängst der Spielfilm Maggie eindrucksvoll bewiesen), sondern die völlig hohl und uninteressant geschriebenen Charaktere, denen zu folgen keine Freunde bereitet. Es ist schlicht egal, wer lebt, wer stirbt, wer in Gefahr gerät, die Protagonisten sind derartig farblos, dass man sie manchmal schon vergisst, während sie sich noch durch ihre Szenen lavieren. Bei aller Kritik an The Walking Dead schafft es die Hauptserie immerhin, öfters selbst Interesse an kleinen Nebenfiguren zu generieren. Die einzigen Protagonisten, deren Schicksal mich persönlich interessiert hätte, wäre die freundliche Familie von nebenan gewesen, die ein Fest für ihre Tochter vorbereitet – und die hat keine fünf Minuten Screentime in denen sich wie eine halbe Ewigkeit anfühlenden sechs Folgen. So ist Fear the Walking Dead wie ein Worst-Of der Hauptserie komplett mit Langeweile, dummen Figuren (Die Militärs! Die Militärs!) die sich blöd verhalten und einem emotionalen Vakuum, dass erschreckend ist. Wir sollen den Untergang der Zivilisation durch die Charaktere nachvollziehen können, dies gelingt nur in einigen wenigen, kurzen Szenen. Fear the Walking Dead ist leidenschaftslos, hochwertig produziert, aber ohne Seele. Die 30-sekündigen Trailer waren spannender als alles, was diese lieblos zusammengeschusterte Zweitverwertung zu bieten hat. Gratulation, Fear the Walking Dead, du hast es geschafft, eins der uninteressantesten Zombie-Medienprodukte aller Zeiten zu sein. Auch eine Leistung – irgendwie.

1.5/4


GAME OF THRONES (Staffel 5)

Um es kurz zu machen: es hat sich kaum etwas gegenüber der vierten Staffel verändert. Das Produktionsniveau ist hoch, Tyrion ist großartig, es gibt genügend WTF?-Momente, einzelne Handlungsstränge weisen endlich konkreter in die Zukunft, der Zuschauer wird weiterhin mit nackten sowie zerstörten Körpern geködert. Game of Thrones ist wie gehabt Eskapismus pur, die politischen Implikationen werden allerdings gefühlt immer weniger. Ach, und das Ende kann doch niemand für voll nehmen, oder? Da gibt es doch so eine gewisse Hexe …

3/4


HOUSE OF CARDS (Staffel 1 & 2)

House of Cards oder auch „Politikverdrossenheit – Die Serie“.
In einer Welt, in der die Menschen im Westen immer mehr den Glauben an die politische Partizipation verlieren ist diese hochgefeierte Serie natürlich genau das Richtige auf deren Mühlen. Korruption in der Politik soll selbstredend thematisiert werden, schließlich gehört dieses Topos nicht erst seit den Zeiten von „New Hollywood“ zum erzählerischen Standardrepertoire. House of Cards beherrscht zudem die Mittel der Manipulation, indem sich der Zuschauer immer wieder dabei ertappt, dass er die Daumen für Hauptfigur Underwood drückt, obwohl er der Antiheld par excellence ist. Underwood ist, wie seine Frau, ein Soziopath, ein Manipulator auf höchster Ebene, dem seine Karriere über alles geht. Dabei ist es bei Kevin Spaceys durchgängiger Interpretation erstaunlich, dass niemand, der ihn wählt, seiner Kälte gewahr wird (auf Wahlveranstaltungen gibt sich Underwood auch nicht anders als hinter verschlossenen Türen) und trotz der stimmigen Atmosphäre, der guten Kameraarbeit und den gekonnt auf Spannung getrimmten Drehbüchern fehlt der Serie etwas. Allen voran ist es ein/e GegenspielerIn, der/die Underwood nicht nur ebenbürtig ist, sondern der oder die auch nicht so schnell aus dem Weg geräumt werden kann. Denn es läuft alles viel zu glatt, zu geschmeidig ab, gerade beim beliebten binge-watching wird gewahr, wie wenig Gegenwehr Underwood auszustehen hat, trotz kleinere Cliffhanger. Er erscheint wie der einzig wirklich Intelligente im Ensemble, niemand kann ihm etwas entgegensetzen. Dieses Muster wird schnell durchschaubar und birgt jenen potenziell gefährlichen Kern, der die Frustrierten nur in ihrer Weltsicht bestätigt: man kann ja doch nichts ändern. House of Cards ist wie die langgestreckte Variante von George Clooneys durchdachteren Film The Ides of March, dem Zeugnis politischer Enttäuschung, dass sich aber differenzierter mit Ursachen, Zwängen und Wirkmechanismen auseinandersetzte. In den ersten beiden Staffeln spielt House of Cards frustrierend beständig denen in die Hände, für die Politiker per se alle Frank Underwoods sind. Es wird Zeit, dass sich die Serie um mehr Differenziertheit bemüht, sonst kann selbst die solide Inszenierung diesen Reigen nicht retten.

2.5/4


DIE LANGEN GROßEN FERIEN (Komplette Serie)

Ja, ich weiß, ich kritisiere viel. Das kommt wohl davon, wenn man viel sieht. Darum ist es immer ein besonderes Highlight, wenn man etwas entdeckt, dass so nahezu perfekt ist, dass man vor Freude weinen möchte. Gut, in der französischen Zeichentrickserie Die langen großen Ferien gibt es auch sonst einiges zum weinen, aber das nur am Rande.
Die Geschichte eines Geschwisterpaares, dass die Jahre 1939 bis 1945 bei ihren Großeltern in der Normandie verbringt und dort mit all den Auswirkungen des tobenden Weltkrieges und der deutschen Besatzung konfrontiert werden, ist auf so vielen Ebenen grandios, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Da wären zum einen die technische Seiten, die gelungene Animation und die hübschen Layouts, aber noch mehr punktet die Serie durch ihren Inhalt und ihre Handhabung. Wenn man je von etwas gesprochen hat, dass für die gesamte Familie geeignet ist, dann ist es diese Serie. Erwachsene werden ebenso ergriffen wie ihre Kinder gerecht, aber in keinster Weise beschönigend, dieses grausame Kapitel der Menschheitsgeschichte vermittelt bekommen.
Menschen sterben in Die langen großen Ferien, nicht nur gesichtslose Platzhalter, sondern Protagonisten, niedliche Tierfiguren fallen hungrigen Nazis oder Bomben anheim, Okkupation und Deportation werden ebenso thematisiert wie kalter Opportunismus auf Seiten der Franzosen und Zweifel am Nationalsozialismus auf Seiten der Deutschen. Es ist die emotionale Bandbreite und Tiefe, die die Serie in gerade einmal zehn Folgen á 25 Minuten erreicht, die beeindruckt. Die langen großen Ferien ist spannend (auch für Erwachsene, falls immer noch jemand daran zweifelt), involvierend, wunderschön und todtraurig zugleich, didaktisch ohne schulmeisterlich zu wirken. Die Europäer schielen immer in die USA, wenn es um Quality-TV geht. Dabei zeigt diese kleine und doch so unendlich große Trickserie, dass dies nicht nötig ist: die Qualität ist längst da und sie ist beeindruckender als ganze Zyklen „echter“ Serien.

4/4


LILYHAMMER (Staffel 3)

Es ist vorbei. Zum Glück, möchte man sagen. Das etwas unerwartete Aus für die in Kooperation von Netflix und dem norwegischen Hauptsender NRK entstandene Serie sorgt zwar für kein definitives Ende (es gibt genügend Stränge, die auf eine vierte Staffel verweisen), aber nachdem sich Lilyhammer auch in der dritten Runde nicht fangen konnte war es wohl nur konsequent, den Stecker zu ziehen.
Nach der durchaus unterhaltsamen ersten Staffel baute die Geschichte des Mafiosi Johnny in Norwegen und seinen kruden Geschäften in der zweiten Season deutlich ab und auch der dritte Anlauf setzt die Fehler weiter fort. Unkonzentrierte Sprunghaftigkeit, enervierende Charaktere (warum, oh warum nur, musste man Jan wiederbringen?), fahrige Inszenierung. Von einigen Highlights des schwarzen Humors abgesehen (Stichwort Leuchtrakete) ist Lilyhammer auch in der dritte Staffel eher ein leidlich interessanter Lückenfüller denn eins der TV-Highlights, das den Machern sicherlich vorschwebte. Das Produktionsniveau ist hoch, der Inhalt belanglos und viel öfter, als es der Serie gut tut, langweilig. Hoffentlich kommt kein anderer Sender auf die Idee, Lilyhammer zu retten.

2/4


THE 100 (Staffel 1)

Nun gut, was soll man sagen? Eine weitere vom US-Sender The CW produzierte Lackserie mit einer Armada von pretty faces und einer Hochglanzoptik, in der selbst Verletzungen sexy sind. The 100 ist Fernsehen wie ein Verkehrsunfall: man will nicht hinsehen, tut es doch und büßt dabei einen kleinen Teil seiner Würde ein. Denn die Story über eine durch einen Atomkrieg verwüstete Erde, auf die von der letzten Bastion der Menschheit, der Raumstation Ark, jugendliche Delinquenten geschickt werden um kostengünstig herauszufinden, ob der Planet wieder bewohnbar ist, drückt ganz primitive Knöpfe: Malen-nach-Zahlen-Charakterisierung, eine ebensolche Dramaturgie, plumpe Cliffhanger. Dabei versucht sich die Serie an gesellschaftlichen Kommentaren, etwa zur Folterproblematik, ohne dass diese Gewicht hätten.
Und wie könnten sie auch, The 100 ist eine Teenieserie (was nicht einmal etwas mit dem Alter der Figuren zu tun hat), die ihr Publikum konstant für dümmer hält, als es ist. Actionlastig ohne involvierend zu sein, plakativ und vorhersehbar plätschert die Serie dahin, voll mit langweiligen Stereotypen, archaischen Erzählmustern und uninspirierten Dialogen. Für den deutschen Erstausstrahlungssender ProSieben war es ein Quotenhit, was nicht auf künftige Programmplanungen hoffen lässt. The 100 ist Fernsehen, wie es der Zuschauer eigentlich nicht verdient hat.

1.5/4


TRUE BLOOD (Staffel 7)

Ich hatte die Hoffnung aus gutem Grund aufgegeben, dass True Blood seiner eigenen Prämisse endlich auch auf der soziologischen Ebene gerecht werden würde, denn auch in der finalen Season entschied man sich, wann immer möglich, für die Trash-Route. Und nur, damit keine Missverständnisse aufkommen: ich liebe guten Trash und True Blood liefert davon eine ganze Menge, auch im letzten Jahr (Erics finaler Werbespot ist pures Gold wert). Staffel 7 geht einige dramaturgische Wendungen ein, die ich nicht für möglich gehalten hätte (Profit & Heilung kombiniert mit Rache wäre so ein Stichwort), gerade im Hinblick auf den unbedingten Trash-Willen der Serie, liefert genug Futter für uns Jessica/Hoyt-Shipper und kracht am Ende noch einmal gewaltig aufs Gesicht, wenn Bill eine seiner kruden Nummern abzieht und Sookie eine irgendwie seltsame „Heimchen-am-Herd“-Rolle zugeschoben bekommt. True Blood endet dann so bemüht versöhnlich, dass man kaum glauben kann, dass dies die Serie der zertretenden Köpfe und explodierenden Körper ist. Und dennoch, und dies war stets eine der bemerkenswerten Eigenschaften der Serie, fügt sich das Ganze zu einem durchaus unterhaltsamen Ganzen zusammen. True Blood bleibt bis zum Schluss eine Serie wie ein guter Pulp-Roman: es ist teilweise hanebüchen, was dort passiert (und es gibt diverse Charaktere, allen voran Tara, denen rein dramaturgisch ziemlich Unrecht getan wird), aber es ist so flott und ohne jeglichen Leerlauf inszeniert, angereichert mit genügend Fanservice (die Sequenz mit der Anwältin, anyone?), dass es schwer fällt, nach all den Jahren True Blood noch irgendetwas in Richtung mangelnden Subtext vorzuwerfen (auch wenn ich es gerne tun würde, aber das habe ich ja eigentlich auch schon ausgiebig bei den anderen Staffelbesprechungen getan). True Blood ist blutiger Spaß, nicht mehr und nicht weniger, und endet mit genügend Verve, dass man nicht wie beispielsweise bei How I Met Your Mother zurück im Zorn blickt. Das ist in der Serienlandschaft auch etwas wert.

3/4

1 Kommentar:

  1. Hi, ich habe dich für den Liebster Award nominiert:
    https://tarankino.wordpress.com/2015/11/08/liebster-award-vom-filmaffen/

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