Tag 27 – Welchen Film sollte deiner Meinung nach jeder
gesehen haben?
Was soll man hier nur antworten? Den Lieblingsfilm nennen?
Müßig. Etwas so persönliches wie den Lieblingsfilm auszuwählen würde rein gar
nichts bringen, denn es ist ja mein
Lieblingsfilm und ich kann ihn empfehlen, aber was würde es bringen, wenn ich
ihm jemanden ans Herz lege, von dem ich weiß, dass er inhaltlich und/oder
ästhetisch nichts damit anfangen kann? Ich zwinge einem Hardcore-Transformers-Fan ja auch nicht Before Sunrise auf.
Vielleicht sollte man fiktionale oder fiktionalisierte
Stoffe ganz herausnehmen. Niemand wird sterben, wenn er nicht IMDBs Topfilm Die Verurteilten gesehen hat, die Welt
wird sich auch dann weiterdrehen, wenn ich niemals dazu komme, Die Wasser der Hügel zu sehen. Ich kann
Empfehlungen aussprechen, aber sie werden immer nur für jene Menschen von
größerem Interesse sein, die einen zumindest ähnlichen Geschmack haben. Muss
man also keinen Film zwingend gesehen haben? Ja. Gibt es Filme, die man unabhängig
vom sonstigen (Spielfilm-)Geschmack einer großen Bandbreite an Menschen ans
Herz legen kann? Auch hier lautet die Antwort ja. Denn im weiten Feld der
Dokumentationen gibt es Kandidaten, denen ich den Status des
„Muss-man-gesehen-haben“ eher zutrauen würde als fiktionalen Stoffen, eben weil
sie als Dokumentation unmittelbarer daherkommen.
Dies führt aber zum nächsten Problem: Welches Thema ist so
allumfassend, so groß, dass es viele Menschen angeht und diese Platzierung
rechtfertigt? Privatisierung wie Der
große Ausverkauf? Nahrungsmittelherstellung und –vertrieb wie in We feed the World – Essen global? Die
überwältigende Schönheit des Planeten Erde wie in Home? Oder, dem Massengeschmack entsprechender, Eine unbequeme Wahrheit oder gar eine
beliebige Michael-Moore-Doku? Doch da ich, Jan Noyer, in diesen Tagen zu den
Fragen Stellung nehme, wähle ich Die Bucht aus.
Es gibt diverse Kritikpunkte, die in meinen Augen aufgrund
des Inhalts aber entkräftet werden. Die
Bucht ist emotional schwer zu verkraften, vor allem für jene Zuschauer,
denen bereits vorher klar war, dass der Mensch nicht die einzige intelligente
Lebensform auf der Erde ist, wie auch immer man Intelligenz auslegen mag. Die Bucht zwingt den Zuschauer dazu,
Stellung zu beziehen und vor allem, sich selbst im Geflecht der Arten zu
definieren. Bei Menschen, die ihre eigene Spezies als die Überlegende
wahrnehmen, wird wohl auch dieser Film nichts ändern. Aber von allen Filmen,
die mir einfallen, ist Die Bucht
derjenige, dem ich am ehesten das Prädikat „Muss-man-gesehen-haben“ verleihen
würde, eben weil seine Brisanz und sein Relevanz weit über das hinausgehen, was
ein handelsüblicher Spielfilm zu leisten vermag. Als Ergänzung kann man sich
dann noch Blackfish und Unter Menschen ansehen. Und dann endgültig
zum Misanthropen werden.
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